Notengebung und selbstreguliertes Lernen oder die Rückkehr des Odysseus

Welche Funktion könnte die Notengebung haben?

Einmal mehr soll die Frage gestellt werden, welche Funktion Noten für den Lernverlauf haben sollen. Können Noten für die Lernenden hilfreich sein? Wenn Noten einem Kompetenzkriterium folgen, könnten sie dem Lernenden die Rückmeldung geben, genau dieses Kriterium geschafft zu haben. Dann könnte man allerdings auch gleich – wie in einer Urkunde – genau diese Bewältigung eines Kriteriums inhaltlich zurückmelden. Im schlechteren Fall sind die Noten eine Bewertung, die implizit dem Vergleich von Lernenden in einer Klasse dient. Im Sinne eines Auswahlkriteriums könnte diese Unterscheidung dazu dienen, Unternehmen und Universitäten Auskunft darüber zu geben, welche Lernenden geeignet und weniger geeignet sind. Hierbei muss natürlich die prognostische Validität gering sein, denn die Lehrperson gründet seine Notengebung ja nicht auf ihre Vorhersagekraft für den Berufserfolg. Der Sinn von Noten bleibt also – auch bei bester Intention – gering.

Notengebung
Odysseus, Villa of La Olmeda, Pedrosa de la Vega, Spain, Valdavia • CC BY-SA 3.0

Notengebung – eine motivationale Katastrophe

Aus motivationaler Sicht ist die Notengebung eine Katastrophe. In vielen Fällen bekommen die Lernenden eine Note für eine Arbeit, die Wochen zuvor verfasst wurde. Die Ableitung der Note bleibt für die Lernenden rätselhaft und kann nicht mit dem eigenen Lernverlauf in Verbindung gebracht werden. Die Orientierung am Klassenschnitt führt außerdem dazu, dass individuelle Lernfortschritte oft nicht abgebildet werden können: die Schlechten bleiben schlecht, obwohl sie wichtige Fortschritte machen, aber das bleibt im Klassengefüge weitgehend unbemerkt. Die Guten bleiben gut, auch wenn sie sich auf ihren erreichten Lernergebnissen ausruhen. Eine solche Notengebung verhindert, dass Lernfortschritte für den Lernenden merkbar werden und verhindert eine effektive Selbstregulation des Lernens.

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