Rezension Sei du selbst von Richard David Precht – Geschichte der Philosophie 3

Rezension Sei du selbst von Richard David Precht – Geschichte der Philosophie 3

Richard David Precht lädt uns mit seinem dritten Band „Eine Geschichte der Philosophie – Sei du selbst” zu einem wilden Ritt durch die Philosophie des 19. Jahrhunderts ein. In gewohnt schmissiger Manier zeigt Precht die Eingebundenheit der berühmtesten Philosophen in Ihre persönlichen Lebenswelten und in die historischen aber auch wissenschaftlichen Ereignisse auf. Precht startet mit Schopenhauer und Kierkegaard, um dann schließlich mit Weber, Tönnies und Simmel zu schließen. Folgen wir Precht auf dieser Reise durch die Geschichte, so entsteht der Eindruck, dass die Philosophen oft sehr früh in ihrer Karriere ihren jeweiligen philosophischen Standpunkt festlegten und dann – meist sogar ihr ganzes Leben- damit beschäftigt waren, diesen Standpunkt in ihren philosophischen Schriften weiter zu verfestigen und zu verteidigen.

Rezension Sei du selbst von Richard David Precht - Geschichte der Philosophie Band 3

Es scheint oft so, als entstünde erst die Idee und dann im Nachhinein die philosophische Rechtfertigung- oft in Form einer harschen Ablehnung konkurrierender philosophischer Ideen. Interessant ist, dass auch die Philosophie – eigentlich die höchste Form der wissenschaftlichen Reflektion und Abstraktion – meist doch einer sehr persönlichen Idee entspringt und die Philosophen dieser oft über alle Maßen verhaftet bleiben. Aus der Ferne wirken die Schriften und Bücher dieser Philosophen monumental, aber bei näherer Betrachtung doch nur als ein wackeliges Kartenhaus, das einer manchmal sehr einfachen Idee folgt. Dieses Motiv wird Precht dann vielleicht mit der Behandlung von Thomas S. Kuhn im angekündigten 4. Band noch weiter vertiefen.

Die Entstehung von Psychologie, Soziologie und Pädagogik

Einen besonderen Schwerpunkt im dritten Band ist die Ausdifferenzierung der Philosophie in Psychologie, Soziologie und Pädagogik, die sich im 19. Jahrhundert als eigenständige Wissenschaften etablieren. Aus der historischen Entwicklung wird deutlich, dass die Ideengeschichte dieser neuen Wissenschaften meistens den zeitgenössischen wissenschaftlichen Erkenntnismethoden folgt. So betreibt die noch junge Psychologie im 19. Jahrhundert vor allem einfache Wahrnehmungsexperimente oder verbleibt in der Introspektion. Diese Methodenabhängigkeit setzt sich bis in die heutige Zeit weiter fort und gilt natürlich auch für die Naturwissenschaften, wie etwa Karin Knorr-Cetina aufzeigt.

Interessant ist auch, dass doch etliche Philosophen die Entwicklung der heutigen Zeit vorausgesehen haben, etwa in seiner „Philosophie des Geldes“ scheint Georg Simmel den Plattformkapitalismus der heutigen Zeit zu beschreiben.

Welchen Standpunkt nimmt eigentlich Richard David Precht in diesem Buch ein?

Precht vermittelt den Eindruck, dass er überall dabei gewesen ist. Man könnte fast meinen, das Precht als stiller Geist im Zimmer schwebte, wenn Peirce Seite um Seite in seiner Farm bei Milford, Pennsylvania, geschrieben hat. Diese Perspektive des allwissenden Erzählers ist die besondere Stärke dieses Buches. Man kann dem Text hierdurch sehr gut folgen und kann sich durch diese Kontextualisierung vieles besser merken. Diese Perspektive ist gleichzeitig auch die besondere Schwäche dieses Buches. Precht verlässt an keiner Stelle die Perspektive des Allwissenden und nimmt den Leserinnen und Lesern so die Möglichkeit zur kritischen Reflexion. Es gibt keine andere Möglichkeit als Precht bei der Auswahl und Bewertung seiner philosophischen Darstellung zu folgen, etwa, wenn er lakonisch konstatiert das Friedrich Harms nicht zu den Besten seines Faches gehörte.

Rezension Sei du selbst von Richard David Precht – Geschichte der Philosophie 3 – Fazit

Insgesamt ist Precht eine unterhaltende und spannende Geschichte der Philosophie gelungen, der eine zusätzliche Reflexionsebene gutgetan hätte.

Zur Person: Richard David Precht ist Bestsellauthor und arbeitet als Honorarprofessor an der Leuhana Universität Lüneburg und der
Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.

Eine Rezension zu seinem vorletzten Buch „Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“ findet sich hier.

Rezension zum neuen Buch von Richard David Precht – Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft

Richard David Precht spannt im seinem Buch „Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“ einen großen Bogen von der Dystopie einer ungebremsten Internetwirtschaft bis hin zu einer Utopie, wie die kommende Digitalisierung einen Nutzen für die gesamte Gesellschaft entwickeln kann. Er beschreibt detailliert, warum es ein „weiter so“ in der Politik nicht geben kann. Die Auflösung der Privatsphäre, die Entmündigung des Bürgers durch automatische Algorithmen, die Vermehrung von Macht und Reichtum von ganz wenigen Menschen, der Verlust von Arbeitsplätzen durch Computer und Roboter, der Energiehunger von Kryptowährungen und nicht zuletzt der Verlust von menschlichen Eigenschaften wie Liebe, Fürsorge und Authentizität sind für ihn wichtige Punkte.

Rezension zu neuen Buch von Richard David Precht

Aber Precht entwickelt auch Leitlinien einer Utopie, wie etwa das bedingungslose Grundeinkommen von etwa 1500 Euro, das durch eine Mikrosteuer auf Finanztransfers finanziert werden könnte. Wie ein solches Grundeinkommen die Menschheit emanzipieren könnte und das Gemeinwohl für alle wieder gesteigert werden könnte. Und im Gegensatz zu etwa Harald Welzer kann sich Precht auch vorstellen, dass die Digitalisierung in vielen Bereichen, etwa der Medizin und dem Verkehr einen wichtigen Zukunftsbeitrag leisten kann.

Das Buch ist sehr gut lesbar und verdeutlicht die Argumentationen mit vielen Metaphern und Zitaten von Denkern aus allen Zeitepochen. An manchen Stellen fehlt den Fachwissenschaftlern sicherlich die nötige Argumentationstiefe – die dieses Buch in dieser Form aber gar nicht erreichen will. Es ist vor allem eine Aufforderung an die Politik, endlich aktiv zu werden und die ungebremste Digitalisierung der Großkonzerne in gesellschaftsförderlichen Bahnen zu kanalisieren.

Dieses Buch sei jedem ans Herz gelegt, der einen vages Unwohlsein mit der allumfassenden Digitalisierung spürt, ohne dieses Unwohlsein in Worte oder gar Argumentationen gießen zu können. Richard David Precht gelingt genau dies und schafft damit – trotz und gerade wegen mancher Unschärfe – ein großartiges Buch.

Zur Person: Richard David Precht ist Bestsellauthor und arbeitet als Honorarprofessor an der Leuhana Universität Lüneburg und der
Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.